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Intellektuell hochklassiger Rundumschlag

Von Thomas Weber |

Politisches Kabarett mit René Sydow sorgte für nachdenkliche Mienen

Politisches Kabarett muss nicht zwanghaft etwas zum Lachen sein. Bestimmt nicht, wenn man sich ein Programm von René Sydow anhört. Der 38-jährige Schriftsteller, Schauspieler, Regisseur und Kabarettisten sprach am vergangenen Samstag vor 180 Gästen bei Kulturlant im Lantershofener Winzerverein und machte dem Publikum dabei gleich zu Beginn klar: „Wenn Sie Unterleibskomik erwarten, muss ich Sie wahnsinnig enttäuschen.“ Natürlich streute Sydow hin und wieder einen Gag ein, auch schon Mal einen uralten Witz. Die Aufmerksamkeit hochhalten, während man sich mit den aktuellen Problemen im Kleinen, wie im Großen beschäftigt, so der Tenor. Sydow, der zuletzt mit Kabarettpreisen nur so überschüttet wurde und der dennoch kein Dauergast in den einschlägigen Formaten ist, weil er sich ob seiner Texte gerne mit den Entscheidern in den Sendern anlegt, setzte zu einem Rundumschlag an und forschte dabei immer wieder nach der „Bürde des weisen Mannes.“ So lautete auch der Titel des Programms.

Dabei klagte Sydow nicht an. Immer wieder, wenn er Missstände aufzudecken versuchte, machte er auch klar: „Das muss wohl so sein.“ Vielleicht, um das Publikum nicht allzu sehr aufzuschrecken. Denn dort saßen einige, die sich direkt angesprochen fühlen konnten, wenn der Kabarettist sich über Kirche, Religion oder Schule äußerte. Und darüber, dass es immer nur ums eigene Ego und ums Geldvermehren gehe. „Krieg, Handel und Piraterie – dreieinig sind sie“, legte er Faust neu auf. Sydow befasste sich mit Europa, das den Glauben an sich selbst längst verloren habe. Nun mache die Politik ein Kaufhaus daraus, bei dem die Reichen immer reicher würden, die Armen, wie Spanien oder Italien aber nur den Zugang zu den Grabbeltischen im Erdgeschoss erhielten. „Die Politik erwartet Europa-Patriotismus, denkt aber selber nicht daran“, so Sydow, der neue Begriffsdefinitionen vorstellte: Imperialismus heißt heute Welthandel, Krieg nennt man neudeutsch Friedenseinsatz. An der Kirche ließ der Kabarettist ebenfalls kein gutes Haar, wen er auch betonte: „Religionen sind schwer im Kommen.“ Aber sie seien auch ewige Vertröstungsmaschinen.

Vieles in Lantershofen war starker Tobak, aber auch politisches Kabarett als intellektueller Hochgenuss, auf den Punkt gebracht mit scheinbar unerschöpflichem Wortwitz. „Am Ende werden wir sagen“, bilanzierte der Kulturlant-Gast, „jeder einzelne von uns hat 30.000 Facebook–Kommentare geschrieben, 3.000 Fotos hochgeladen und die ganze Welt fotografiert, aber sie nie begriffen. Wir haben die Kinder digitalisiert und standardisiert, haben ihnen Kompetenzen statt Bildung vermittelt, bis sie gesichtslos in der Masse waren – und von den verlorenen Gesichtern haben wir Selfies gemacht.“