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Kein Blatt vorm Mund

Von Thomas Weber |

Dem Duo „Suchtpotenzial“ war in Lantershofen kein Thema zu heiß

Der Flügel auf der Lantershofener Kulturlant-Bühne schien auf ein gediegenes Konzert zu warten, gedimmtes Licht lies nichts anderes vermuten. Von wegen! Was am Donnerstag im altehrwürdigen Winzerverein stattfand, hatte so wohl kaum ein Gast vermutet. Das kongeniale Duo „Suchtpotenzial“, Ariane Müller aus Ulm und Julia Gámez Martin aus Berlin präsentierte dort ein musikalisch einwandfreies und textlich oft recht anrüchiges Programm. Große Kunst oder oftmals unter der Gürtellinie? Dass musste jeder für sich selbst beantworten. Auf alle Fälle nahmen die beiden jungen Frauen kein Blatt vor den Mund. Und machten auch vor nichts Halt, auch nicht vor sich selbst. Beide hatten zwangsläufig ihr eigenes Genre entwickelt, weil ihre Stücke nach eigener Aussage „für Comedy nicht lustig genug, für Polit-Kabarett zu banal“ waren. Drum hieß es nun „Alko-Pop.“ Mit dem Programm schafften beide, die schon in jungen Jahren keine Lust mehr hatten, die eingeschlagene Theater- und Musicalausbildung zu verfolgen, den Durchbruch auf Deutschlands Kabarett-Bühnen. Man wolle einfach nur sein eigenes Ding machen, so die Aussage.

Dass beide eine fundierte Ausbildung hinter sich haben, war vom ersten Ton an klar. Die Halbspanierin Gámez überzeugte nicht nur mit ihrem Temperament, sondern in erster Linie mit ihrer Stimme. Sie war 2009 Siegerin beim Bundeswettbewerb Gesang, das hörte man. Ariane Müller, die schon als Musical-Queen gefeiert wurde, brillierte nicht nur als starke Pianistin, die ihr Instrument auch dann beherrscht, wenn die langen blonden Haare ihr die Sicht komplett verdeckten. Sie war zwar die Frau der eher ruhigen Töne, die stimmlich auch gar nicht gegen die Wucht der Julia Gámez Martin ankommen konnte. Dafür kamen aus ihrem Mund die wirklich wichtigen Worte, die ruhig vorgetragenen Pointen, oftmals gemixt mit einer gehörigen Portion Sarkasmus.

Zwischen den Liedern der beiden, die es auf der Bühne auskosteten, von ihrem „Scheitern“ in einem Chanson-Wettbewerb zu berichten, in dem ihnen Katja Ebstein vor versammeltem Publikum die Leviten las, erzählten und berichteten Suchtpotenzial: aus ihrem Leben, aus ihrem Umfeld, aus der Welt und von den vielen großen und kleinen Problemen des Alltags. Sie sangen von nicht ganz ernst gemeinten geheimen Wünschen (Ich will nen Bauer, nen ganzen Kerl vom Land), lebten ihr Tanz-Touret aus und zogen über den schwäbischen Gutmenschen her. Sie berichteten vom Kennenlernen in der Selbsthilfegruppe der „Anonymen Musicaldarstellerinnen“ und zeigte auf, dass es auch andere musikalische Drogen gibt: „Wenn mein Leben ne Oper wär, hätte ich keine Nachbarn mehr.“ Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens wunderten sie sich über lange Schlangen vor den Frauentoiletten und leiteten daraus ab „Männer haben‘s gut.“ Und als Gangster-Rapper fiel ihnen aber auch so gar kein böser Reim auf Lantershofen ein: -schwofen, -ofen, -doofen, passte alles nicht. Zurück zu den Männern, die hatten es ihnen angetan, wie im Klamotten-Protestsong klar wurde: „Wir fordern Gammel-Look und Jogginghosen für Frauen“, denn: Wir wollen nur das gleiche wie die Männer – rumlaufen wie Penner.“ Zweieinhalb Stunden begeisterten Suchtpotenzial die rund 170 Gäste in Lantershofen so sehr, dass diese am Ende in Songtexte einstimmten, die man ansonsten eher hinter vorgehaltener Hand ausdrückt. Wenn überhaupt.